Die Äpfel

Der junge Kosak Antin Perebyjnis befand sich auf dem Heimweg von der Sitsch. Sein Pferd tänzelte unter ihm, doch bremste er die ungeduldigen Regungen des Tieres, indem er fortwährend die Zügel anzog.

Die Sonne war längst hinter dem Horizont versunken. In der Ferne tauchten im Mondlicht die Umrisse der Festung von Bila Zerkwa auf. Er ritt langsam und atmete tief die Düfte der umliegenden Gärten ein. Dann und wann lächelte er leise, denn er dachte an seine Ausbildung oder die letzten Scharmützel mit den Polen und den Türken.

Er war zweiundzwanzig Jahre alt, die Welt lag offen vor ihm, sie lockte mit Abenteuern, mit langen Reisen bis zum Schwarzen Meer, den Wegen der Tschumakenii folgend, die durch die grenzenlose Steppe bis zur Krim führten, zur weiten Wasserfläche, deren Wellen auch die Ufer von Skutari umspülten, Wellen, auf deren weißem Kamm Kosakenboote wie leichtflügelige Möwen von uralten Winden zu Kämpfen getragen wurden.

Viel hatte Antin in den zweieinhalb Jahren bei der Saporoher Sitschi gelernt: wachsam zu sein und immer bereit; freigiebig zu sein und beim Bezahlen nicht auf das Geld zu schauen; stets daran zu denken, dass das Schwert nicht nur dazu dient, Schätze zu erlangen, sondern auch die Schwachen gegen die Starken und die Armen gegen die Reichen zu verteidigen; bereit zu sein, den Kopf für seine Werte hinzuhalten, die man durch Geburt und Erziehung erhalten hatte; und vor allem den ungeschriebenen ritterlichen Ehrenkodex zu wahren, der es gebietet, beim Schutz der Unglücklichen nicht an die eigene Sicherheit zu denken.

Diese ritterlichen Tugenden waren kein festgelegter Katechismus der Verhaltensregeln, auf die man sich in jedem konkretem Fall berufen musste, aber sie waren den Kosaken so in Fleisch und Blut übergegangen, dass diese ganz unbewusst danach handelten – so wie der Instinkt eine Biene dazu zwingt, Nektar für den Honig aus Blumen zu sammeln oder der Instinkt einen Jagdhund auch ohne Studium begreifen lässt, wer sein Feind ist und wen er treu lieben sollte.

Jetzt ritt Antin an einem langen Zaun vorbei, der ein großes Anwesen umgab: ein dichter, schattiger Garten mit Obstbäumen, und irgendwo in seinen Tiefen ein Haus mit weißen Säulen. Der Vollmond stand bereits hoch, und sein Licht ergoss sich wie aus zum Himmel erhobenen Rinnen in reichen Strömen auf die Kirche, die, einer Braut in einem Damastkleid ähnelnd, unter einer Anhöhe erblasste und silbern ins dunkelgrüne Zelt floss, das ihr die Apfel-, Birn- und Kirschbäume errichteten. Dort, im verlockenden Dickicht, musste ein großer, saftiger Antonowka-Apfel hängen, und ein zartweißer, papieren-rauer Renette-Apfel, deren Düfte zu solchen subtilen Nuancen ineinanderflossen und – übergingen, dass man ein wahrer Kenner von Aromen sein musste, um (gleich einem Musikkenner) die feinen Unterschiede wahrzunehmen, welche die Sinfonie des abendlichen Gartens in der Ukraine schuf.

Antin hielt sein Pferd an und spähte über den hohen Zaun. Er war im Garten seiner Eltern aufgewachsen und hatte dort in einer Hütte geschlafen. Diese Kindheitserinnerungen ergossen sich wie eine Flut in seine Seele, berührten ihn, zauberten aus der Dunkelheit den Geist des Anwesens seiner eigenen Familie hervor. Seit Mittag hatte er keinen Krümel mehr gegessen, die Straße war staubig gewesen, die Sonne hatte den ganzen Tag gebrannt. Vor allem wollte er seinen Durst löschen. Die Äpfel, deren kühle Rundungen er noch nicht fühlte, die sein Auge im dunklen Geäst wie weibliche Brüste unter schwarzen Gewändern nur erahnte, lockten ihn mit ihrer gleichzeitigen Abwesenheit und Nähe.

Er erinnerte sich, wie er und seine Kameraden während der Ausbildung nachts benachbarte Gärten geplündert hatten, da dies, kaum je bestraft, ja, als tapfere ritterliche Übung angesehen wurde, die den Kosakengeist nährte. – Und damit überwand er schließlich sein Zögern und die Zweifel, ob eine solche Tat mit seiner jetzigen Würde, der Würde als Kosake der Saporoher Sitsch, im Einklang stünde.

Zehn Schritte weiter wuchs am Zaun ein Bergahorn. Der Kosak näherte sich, band sein Pferd daran, und sprang dann vom Sattel aus leicht über den Zaun und in die hohen taufeuchten Brennnesseln.

Er stand einen Moment lang da und lauschte. Zu hören war nur, wie hier und da ein Apfel mit einem kurzen Poltern ins Gras fiel. Er tastete im Dunkeln und fand ein halbes Dutzend unter den Bäumen. Die Äpfel waren von der Kälte des Mondes durchdrungen. Sie stillten den Durst und besaßen jene Süße, die beim Genuss von verbotenem Obst doppelt süß ist.

Die Seele des Kosaken füllte sich mit fernen Erinnerungen: eine große Wassermelone aus dem Garten seines Vaters; ein Teich mit hohem Schilf, in dem er watete, bis zur Brust im Wasser; Enten, deren Nester er zerstörte; der klagende Schrei der Kiebitze über dem Sumpf – all das flackerte in den Farben sonniger Tage noch so frischer Kindheitserinnerungen auf und drehte sich in einem leichten Reigen um ihn herum.

In diesem Moment ertönten aus dem weißen Haus am Ende der Allee die Klänge eines Cembalos. Fasziniert wagte es Antin es, unter dem breiten Zelt aus Bäumen hervorzutreten, und er begann vorsichtig, durch das Gras, das die Schritte dämpfte, vorzudringen, seitlich an der Allee entlang auf das Haus zu.

Bald stand er vor der Front des hohen Hauses. Aus dem offenen Fenster des Obergeschosses schwebten nicht nur die Klänge des Cembalos, sondern auch Bruchstücke eines Lieds, gesungen von einer weiblichen Stimme:

Er ließ mich vertrocknen, ließ mich welken,

mich junge Frau vertrocknen,

oh, wie der frostige Wind

dieses grüne Gras.

Du lässt mich vertrocknen, welken,

wie der Wind eines Epos;

du wirst weise, wenn du

ein junges Mädchen für dich gewinnst.

 

Um die Worte besser zu verstehen, ging er zu einer verzweigten Kastanie, die direkt gegenüber dem Fenster stand und in deren Schatten er sich sicher fühlen konnte. Im Garten war alles still, er wagte es sogar, ein wenig vorzutreten, einen Schritt weit in den langen Lichtstreifen, der aus dem Fenster fiel, und erstarrte zu einer Säule gespannter Aufmerksamkeit.

Obwohl Antin Perebyjnis‘ Herz das eines Kriegers war: Wie hätte er im Alter von zweiundzwanzig Jahren nicht von einem Mädchen träumen können, einem Mädchen, dessen Bild in seiner Vorstellung seit langem im Ideal weiblicher Schönheit bestand: Ihr Haar musste hell sein wie Flachs, die Augenbrauen dicht und schwarz, die Augen dunkelbraun. Anders konnte er sich die nicht vorstellen, die er für immer zur Partnerin seines Lebens wählen würde. Zerbrechlich musste sie sein und fein, wie eine rosa Blume an einem dünnen Stängel, um mit ihrer Zartheit die Stählernheit seiner Natur auszugleichen. So ist es nicht verwunderlich, dass er, als er die Stimme der Frau hörte, die für das Auge unsichtbar blieb, seiner Fantasie freien Lauf ließ und ihr auf die ein oder andere Weise Gestalt verlieh. Solange er dem Gesang lauschte, vergaß er den Garten und die Äpfel, die Reise, die ihm bevorstand, und das ungeduldige Pferd, das um den Bergahorn tänzelte.

Doch als er so dastand, nach oben schaute und zuhörte, spürte er plötzlich etwas Schweres im Rücken, zwei starke Hände packten ihn unter den Achseln und zwei weitere – keine Pause ward ihm gegönnt – in den Kniekehlen. Er fühlte, wie er in die Luft gehoben wurde, er wirbelte herum, wand sich und wollte sich befreien. Aber da waren zwei stämmige Riesen, von denen einer meinte:

„Winde dich nur, Bruder, winde dich, aber entkommen wird du nicht!“

Ein Dritter kam rechtzeitig zur Verstärkung. Antins Widerstand war endgültig gebrochen. Seine Arme wurden nach hinten gedreht und er wurde zu dem weißen Haus mit den Säulen geführt oder vielmehr geschleift.

Als er sich in der Eingangshalle befand und erkannte, dass es nichts nützte, sich weiter zu widersetzen, hörte er auf und beschloss, sich dem Schicksal zu stellen, sich freiwillig weiterschleifen zu lassen. Er wurde durch einen Korridor geführt, dann öffnete sich die Tür zu einem Zimmer. Er trat über die Schwelle und fand sich in einem kleinen leeren Empfangsraum wieder. Von dort führte eine Tür in ein anderes Zimmer, wohin einer der Kosaken seine Schritte lenkte. Offensichtlich, um sich bei jemandem anzumelden. Antin hörte einen tiefen Bass antworten.

„Also gut, führt ihn herein!“, und die Erwiderung des Kosaken: „Jawohl, Herr Oberst!“

Das andere Zimmer war groß und möbliert: Entlang der Wand standen Bänke, die mit bestickten Tüchern bedeckt waren; Läufer lagen auf dem Boden; es gab ein großes Regal mit Kelchen und Gläsern; in den Ecken die traditionellen Sticktücher in Bilderrahmen. Ein kleines Sofa und ein persisches Koberet hoben sich dagegen vom allgemeinen Stil ab und schienen dafür zu sprechen, dass das Haus von einem besiegten polnischen Magnaten übernommen worden war. In der Mitte, näher am Fenster, stand ein Tisch, an dem sich ein grauhaariger Saporoher Kosake über einige Papiere beugte. Auf dem Tisch brannten zwei Kerzen in silbernen Haltern. Als Antin eintrat, nahm der Kosak seine Pfeife aus dem Mund und richtete neugierig und, wie es Antin schien, ein wenig überrascht seine grauen Augen auf ihn, als habe er sich etwas anderes erhofft. Einen Moment lang starrte er ihn durchdringend an und fragte schließlich:

„Wo habt ihr den verliebten Kater erwischt?“

„Unter dem Fenster“, sagte der Kosake, der ihn als erster gepackt hatte.

„Anstatt das Vögelchen zu sich ins Dunkle zu locken, ist er diesmal selbst ins Licht getreten“, sagte der Zweite.

„Hat mit der Zeit Mut gefasst“, fügte der Dritte hinzu.

„Der Krug schöpft Wasser, bis er zerbricht“, resümierte der Graubärtige am Tisch und sah den jungen Mann noch einen Augenblick interessiert an. Dann sagte er: „Was sollen wir mit diesem Jegomość, diesem Gentleman, machen, meine Herren?“

„Der gute Mann ist sehr ins Schwitzen geraten, als er mit uns gerungen hat“, sagte der Erste erneut. „Also wäre es vielleicht gut, ihn abkühlen zu lassen, indem er für die Nacht im Kalten untergebracht wird und die Sache überdenken kann.“

„Sie könnten dem ehrenwerten gnädigen Herrn sogar ein Bad einlassen und ihn die ganze Nacht in einen Kessel mit eisigem Wasser setzen“, fügte der Zweite hinzu.

„Wenn der gnädige Herr nach zwei Stunden sagt, dass er friert, können Sie das Wasser ein wenig erhitzen und dann allmählich zum Kochen bringen“, warf der Dritte ein.

„Überlassen Sie solche Scherze den Türken“, entgegnete der Graubärtige scharf.

„Dann behalten wir Herrn Antin für einige Zeit, also für ein paar Wochen hier, zum Mahl des świętego Antoniego [polnisch: heiligen Antonius], warf wieder der Erste ein.

Hier blinzelte Antin Perebyjnis überrascht: Woher zum Teufel kannten sie seinen Namen? „Ich schlage eine noch spaßigere Unterhaltung vor“, sagte der Graubärtige und als die drei ihn fragend ansahen, schleuderte er ihnen entgegen: „Die Wölfe!“

Der erste Kosak sprang nun auf. Die anderen beiden rieben sich die Hände.

„Das wird ein Spektakel! Lasst ihn ein Schwert nach ihnen schwingen! Mal sehen, wie er sich ihnen gegenüber schlägt.“

„Ruhm und Ehre ihm, wenn er sich gut schlägt. Dann eröffne ich ihm den Weg in die weite Welt. Wenn er sich nur nicht noch einmal hierher verirrt.“

Wut erfasste den jungen Mann, dass man so über ihn verfügte, als sei er ein Objekt, ein toter Gegenstand, mit dem man tun kann, was man will. Am Ende wusste er nicht, ob er dieses Gespräch ernst nehmen oder für einen Scherz halten sollte. Dann beschloss er, sich einzumischen.

„Zunächst einmal, meine Herren, sollte meine Zustimmung erfragt werden, sei es zu einem Bad oder Gladiatorenkampf, weil die Sache in erster Linie meine unantastbare Person betrifft.“

Alle vier sahen überrascht zu ihm.

„Der Herr, der gefangen genommen wurde, scheint sich daran zu machen, die Bedingungen der Kapitulation, die doch schon vollendete Tatsachen sind, zu Novoverhandlungen führen zu wollen“, bemerkte der Erste langsam.

„Offenbar war dem Herrn nicht klar, welche Consequenzien sein erster leichtfertiger Schritt nach sich ziehen musste“, meinte der Zweite.

„Akzeptieren Sie, werter Herr, meine aufrichtigen Condolenzien dazu“, schloss der Dritte mit einer höhnischen Entschuldigung und wagte eine tiefe Verneigung vor Perebyjnis.

„Leichtfertigkeit ist kein Verbrechen“, nahm der junge Mann den Faden wieder auf, „und es ist in der Ukraine nicht üblich, aus diesem Grund zu foltern.“

„Aber hat Ihre Leichtfertigkeit nicht eine kriminelle Absicht offenbart?“, übernahm der als Oberst angesprochene Mann das Wort.

„Ja, kriminelle Absicht, für die wir in der Ausbildung ordentlich bestraft wurden“, sagte der junge Mann.

„So ist das also! Schon im zarten Alter war der Herr auf amouröse Abenteuer aus“, sagte der erste Kosake wieder.

„Aber in Ihren Garten hat mich keine amouröse Affäre geführt“, erwiderte Perebyjnis scharf.

„Ach, aber was denn dann genau, wenn ich fragen darf?“, knurrte der Andere.

„Die Äpfel!“

„Welche Äpfel?“ Die drei sahen sich überrascht an, und der vierte am Tisch hob seinen wachsamen Blick.

„Ich wollte Ihre Äpfel probieren.“

Jetzt brachen alle vier in solches Gelächter aus, dass die Fenster klirrten.

„Die Äpfel, so ein Schelm!“ Die drei Kosaken hielten sich die Seiten. Der Oberst warf sich in seinem Stuhl zurück und lachte, bis ihm die Tränen kamen.

„Ihn gelüstete nach den Äpfeln, die unter dem Hemd meiner Tochter reifen“, warf er salopp und ein wenig zynisch ein.

Perebyjnis weitete erstaunt die Augen und antwortete bedeutungsvoll:

„Glauben Sie mir, Herr Oberst, ich habe Ihre Tochter noch nie gesehen.“

„Sie können vielleicht lügen, guter Mann. Aber mich haben Sie nicht überzeugt. Um in den Garten zu gelangen, mussten Sie über den Zaun klettern. Sie sind, wie Sie sagen, wegen der Äpfel hineingesprungen. Aber Sie haben sich zum Fenster meiner Tochter geschlichen. Sie wurden dabei inflagranti erwischt. Ist Ihnen klar, wie auffällig dieses Verhalten ist?“

Perebyjnis schwieg, weil er nicht wusste, was er darauf entgegnen sollte.

Der Oberst fuhr fort: „Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde diese heimliche Korrespondenz und die nächtlichen Treffen in der Gartenlaube und hinter den Haselbüschen endlos dulden, wenn eine weitere Toleration einer solchen Copulation unweigerlich dazu führen muss, das Mädchen in den Augen der Gesellschaft zu kompromittieren?“

Einer der Kosaken spottete: „Der Herr lügt, denn sicher schließt sein schmeichelhafter Stolz jeden Gedanken an eine schmachvolle Contamination des edlen weißen Fleisches durch einen bösen Wolf, so ein stinkendes Biest, aus.“

„Weil der Herr sonst nur einen Ausweg hätte, nämlich durch den Wolfsmagen“, sagte der Zweite.

„Das ist als würde man wiedergeboren“, fügte der Dritte hinzu, „nur würde dann die eigene Mutter den Herrn Jegomość nicht wiedererkennen.“

Da brach es aus Perebyjnis hervor: „Heute machen Sie aus mir einen Polen und morgen einen Türken. Und dabei erlauben Sie sich eine sehr unwürdige Art des Spotts. Wenn Sie schon (seltsamerweise!) meinen Namen kennen, sollten Sie wissen, wer mein Vater ist. Ich stamme aus einer Kosakenfamilie. Ich bin der Sohn von Pawel Perebyjnis, dem dienstältesten Unter-Hetman, ich bin Unterfähnrich bei der Saporoher Sitsch. Das versichere ich Ihnen“, und mit diesen Worten schleuderte er wütend ein kleines, zusammengeschnürtes Bündel Dokumente auf den Tisch.

Der Oberst betrachtete diese aufmerksam und erklärte dann, offenbar zufrieden: „Ich bin sehr froh, dass wir gleichen Ranges sind und dass es hier keine Mesalliance geben wird, wie ich befürchtet hatte.“ Und dann zu den Kosaken: „Offensichtlich waren Ihre Informationen unzureichend, meine Herren.“ Dann wandte er sich wieder an den jungen Mann, während er ihm die Papiere zurückgab: „Wir regeln die Angelegenheit würdevoll und edel. Machen Sie sich bereit, Herr Unterfähnrich, morgen früh mit meiner Tochter vermählt zu werden. Sie haben bis sechs Uhr Zeit, alles mit ihr zu besprechen. Ihr habt also fast die ganze Nacht vor euch.“

Perebyjnis wollte etwas sagen, doch er war so erregt, dass er nur murmeln konnte: „Ich kenne Ihre Tochter doch gar nicht.“

Aus den grauen Augen traf ihn ein so drohender Blick, dass er verstummte.

Der Oberst donnerte: „Dann glauben Sie also, dass die Perebyjnis zu gut sind, um mit den Sahajdaks verwandt zu sein! Es ändert sich nichts, Teufel und Wolfszahn, selbst wenn Ihr Vater Palij oder Doroschenko wäreiii! Und mir altem Mann wollen Sie Märchen erzählen! Ich wundere mich, dass Sie, der Sohn eines angesehenen Vaters, den ich persönlich kenne, auf Abwege geraten sind und nicht das Richtige tun, indem Sie einen Brautwerber mit bestickten Tüchern schicken. Ich mag keinen Schmarotzer, der die Früchte einsammelt, obwohl er das Feld nicht gepflügt hat und auch künftig nicht pflügen wird. Bringt ihn zu Fräulein Oksana, Jungs!“

Der Oberst stand auf und drehte sich mit dem Gesicht zum Fenster, um zu erkennen zu geben, dass das Gespräch beendet war.

Die „Jungs“ in ihrem schon recht respektablen Alter, führten den jungen Mann in den Korridor, eine Wendeltreppe hinauf, betraten wieder einen dunklen Gang, öffneten eine Tür und schoben ihn ins Zimmer.

„Antos!“ Mit diesem Aufschrei stürzte ein junges Mädchen auf ihn zu, blieb aber plötzlich mitten im Zimmer stehen und erstarrte auf der Stelle. Perebyjnis hörte hinter der Tür nur das Gelächter der Kosaken und wie einer von ihnen sagte: „Hehe, sie hat ihren Antos sofort erkannt.“

Währenddessen sah ihn das Fräulein mit vor Entsetzen geweiteten Augen an. Sie hatte natürlich sofort ihren Fehler bemerkt, war aber nicht in der Lage, ein Wort hervorzubringen. Der junge Mann stand ebenfalls wie erschlagen da, aber nicht vor Schreck, sondern weil dieses Mädchen mit flachsblondem Haar, dunkelbraunen Augen und gewölbten schwarzen Augenbrauen nicht nur voll und ganz seinem erträumten Ideal weiblicher Schönheit entsprach, sie war nicht nur die Verkörperung all seiner Jugendträume, sondern sie hatte auch etwas Zusätzliches an sich, etwas, das er sich selbst in seinen Träumen nicht hatte vorstellen können: einen strahlenden Glanz auf dem Gesicht, als ob es von einem inneren Feuer erhellt wurde.

„Wer sind Sie?“, fragte sie schließlich und überwand die Benommenheit des ersten Augenblicks.

„Unterfähnrich Antin Perebyjnis. Ihr Vater hat gerade befohlen, dass ich Sie morgen früh heirate“, platzte er heraus.

„Oh Gott!“ Das Mädchen schlug in die Hände und bedeckte ihr Gesicht mit den Handflächen. „Wie grausam er ist! Mich dem Erstbesten zu geben, der ihm über den Weg läuft!“

Sie begann aufgeregt im Zimmer umherzugehen und dabei die Hände zu ringen.

Der junge Mann war verlegen. Er erklärte: „Glauben Sie nicht, dass ich in ein Komplott gegen Sie verwickelt bin, Fräulein. Vor einer halben Stunde wusste ich noch überhaupt gar nichts von dem, was mich erwartet. Ich ritt auf meinem Pferd und (er schämte sich, es zuzugeben) schwang mich über den Zaun, um ein paar Äpfel in Ihrem Garten zu pflücken, und da, als ich Sie auf dem Cembalo spielen hörte, näherte ich mich dem Fenster, um Ihrem Gesang zu lauschen.“(Hier sah die junge Dame plötzlich den jungen Mann unter ihren langen, tränenfeuchten Wimpern hervor an). „Dabei haben mich drei Kosaken erwischt und zu einem Gespräch mit dem Herrn Oberst geschleppt, der offensichtlich Ihr Vater ist. Ein gewisser Antin kam zur Sprache. Und da mein Name auch Antin lautet, habe ich nicht sofort gemerkt, dass ich mit jemand anderem verwechselt wurde, und konnte den Oberst nicht davon überzeugen, dass ich Sie noch nie gesehen habe. Obwohl ich Ihre Stimme gehört habe und Sie im Lied danach verlangten, jemandes Mädchen zu sein.“(Hier errötete die junge Dame deutlich). „Ihr Vater ist davon überzeugt, dass ich gemeint war und hat mich vor die Wahl gestellt, entweder das „Ja, ich will“ vor Gott oder der Tod.

„Ich Unglückliche!“, rief die junge Dame und rang wieder die Hände. „Einen Mann heiraten zu müssen, der mich nicht liebt und den ich zum ersten Mal in meinem Leben sehe! Und wo ist Antos! Warum ist er heute nicht aufgetaucht? Er hatte doch eine Nachricht im Astloch hinterlassen, dass er heute Nacht da sein würde. Er wollte mich mit sich nehmen.“

„Eine Nachricht?“, fragte der junge Mann etwas ungläubig.

„Ja. Natürlich nicht die Art von Nachricht, die mein Vater manchmal vom Hetman bekommt oder an den türkischen Sultan schickt. Antos steckte mir ein paar zusammengebundene Zweige in das Loch. Mit diesen Zweigen bedeutet er mir den Tag unseres Wiedersehens.“ Das Mädchen sprach schnell weiter: „Ein Zweig bedeutete Sonntag, zwei Zweige Montag und so weiter, sieben Zweige Samstag. Wenn das Treffen nachts stattfinden sollte, hat er eine blaue Blume hinzugefügt, für tagsüber eine weiße. Ein Weinblatt hieß, wir treffen uns in der Gartenlaube und ein Haselnussblatt – hinter den Haselsträuchern.“

„Das ist ja durchtrieben!“, wunderte sich der Kosak.

„Das habe ich mir ausgedacht!“, erklärte das Mädchen stolz. „Dieses Mal hat er eine blaue Blume mit einem weißen Rosenblatt ergänzt. Das bedeutet, ich sollte bis zum Morgengrauen auf ihn warten.“

„Liebes Fräulein! Jetzt wird mit alles klar. Den Worten Ihres Vaters zufolge, beobachtet er Sie schon länger. Nicht nur, wenn Sie nachts in den Garten gehen, sondern auch Ihre sogenannte Korrespondenz. Vielleicht ist Ihr Versteck für die ‚Nachrichten‘ längst entdeckt. Mit der Zeit haben sie wahrscheinlich gelernt, diese Nachrichten zu verstehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie heute die Falle gestellt haben, in die nun ich geraten bin.“

„Was wird denn jetzt?“, fragte Oksana verzweifelt.

„Nichts Besonderes. Sie werden auf Ihren Antos warten, und alles wird gut.“

„Und Sie?“

„Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich muss mich irgendwie aus dieser Bedrängnis befreien, in die ich durch meine Unachtsamkeit geraten bin.“

In diesem Augenblick kam das Dienstmädchen herein, stellte eine Schale mit Äpfeln und einen Krug guten Mets vor den Gast hin. Für den ausgetrockneten Gaumen des Kosaken war das Getränk ein wahrer Nektar, der ihn wiederbelebte und seine Zunge löste. Oksana, die den größten und reifsten Antonowka-Apfel auswählte, überreichte ihn ihrem Gesprächspartner mit einem zauberhaften Lächeln und sagte: „Es ist, als sei dieser Apfel nach Ihnen benannt. Lassen Sie ihm also ebenfalls Ehre zu Teil werden.“

Antin dachte, dass sein Vorfahre Adam einst in die gleiche Falle getappt war, wie er heute. Doch dachte er auch, dass Eva nicht schöner gewesen sein konnte als diese blonde Ukrainerin, die trotz ihres großen Schmerzes ein solches Lächeln auf ihre Lippen zauberte.

„Man wird den Oberst irgendwie über die Situation aufklären müssen“, sagte er.

„Aber Sie kennen meinen Vater nicht! Er ist hitzig und handelt schnell. Bevor Sie ihm beweisen, wie es war, wird er Sie… und er wird nicht zuhören, sondern dem eigenen Urteil folgen.“

Antin ging zum Fenster und sah nach unten. Jemand ging unter der Kastanie durch und hustete. Da sind Wachen, dachte er. Sonst würde ich vielleicht hinunterspringen. Die Sterne standen hoch am Himmel. Der Mond versteckte sich hinter einer Wolke und der Wind aus dem Garten duftete nach Levkojen.

„Was haben Sie vor?“, fragte das Mädchen ratlos.

„Was bleibt mir anderes übrig, als dem, was geschehen wird, kühn in die Augen zu blicken? In Kämpfen mit den Türken und den Polacken war der Tod oft nah, aber Gott war mir gnädig.“

„Ah, Sie haben an Schlachten teilgenommen! Mein Antos dagegen kennt das noch nicht, er hat noch kein Schießpulver gerochen.“

Ein Strom an Erinnerungen stürzte auf Perebyjnis ein, und er begann zu erzählen, wie die Kosaken bei Akkerman den Türken Gefangene abgejagt hatten; wie sie auf Booten nach Skutari gesegelt waren, wie sie gelandet waren und Feuer gelegt hatten; wie er in der Schlacht von Guman einen polnischen Oberst von Angesicht zu Angesicht bekämpft, gefangen genommen und ihm als Kriegstrophäe ein mit Edelsteinen verziertes Schwert abgenommen hatte. Das hier, das er, Perebyjnis, jetzt trage.

Stunden vergingen, das Mädchen hörte staunend zu und sagte schließlich seufzend: „Mein Antos konnte gar nicht gegen die Polen kämpfen, weil er selbst zur Hälfte polnischen Blutes ist.“

„Wie zur Hälfte?“

„Na ja, er hat eine ukrainische Mutter und einen polnischen Vater.“

„Aaaaha! Jetzt verstehe ich, weshalb mich Ihre Jungs für einen Polen hielten. Ich bin deshalb sogar wütend geworden… Ach, entschuldigen Sie!“, Perebyjnis war verlegen, weil er dachte, dass er mit seinen Worten das Fräulein, das in einen Polen verliebt war, verärgert haben könnte.

„Dem Vater wäre sicher der Tod lieber, als mich einem aus Podlachien zur Frau zu geben, verstehen Sie. Wenn nicht Sie, sondern mein Antos ihm in die Hände gefallen wäre, hätte er sicher keine Umstände gemacht.“

„Nun, ich fühle mich besonders geehrt. Sie haben mir in Aussicht gestellt, einen Gladiatorenkampf mit Wölfen zu veranstalten, bei dem ich sozusagen die Hauptrolle spielen werde. Sie wissen doch, wie es in der Antike in Rom war: Caesar, morituri te salutant!“

„Oh, machen Sie keine Witze!“ Das Mädchen verschränkte die Arme. „Sie wissen nicht, was das für grausame Geschöpfe sind. Sie sind ausgehungert und werden Sie sich auf Sie stürzen, als wären sie der Hölle entsprungen. Ich erinnere mich, wie sie diese beiden Türken zerrissen haben, die damit dafür bestraft wurden, dass sie die Augen unserer Gefangenen ausgestochen hatten. Von ihnen blieb kein Fetzen übrig. Unsere Kosaken holen sie einzeln aus dem Keller und binden sie an. Wenn sie jeden nur einzeln auf Sie losließen, könnten Sie sie immer noch mit Ihrem Schwert abwehren, deshalb werden sie alle zusammen auf Sie hetzen. Nein, das werde ich nicht überleben! Weder das schreckliche Schauspiel Ihres Todes … noch die schmachvolle Ehe mit einem Mann, den man mir aufzwingt.

Ein Schauer lief durch den Körper des schönen Mädchens, die Tränen stürzten hervor und sie gab sich ganz ihrer Verzweiflung hin.

„Glauben Sie wirklich“, sagte Perebyjnis, „dass ich mein Leben auf Kosten Ihres Unglücks erkaufen werde? Wissen Sie, die ritterliche Ehre befiehlt, keine Minute zu zögern und sich zu opfern, wenn die Umstände es erfordern.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Ein Kosak (einer jener drei) kam herein und sagte: „Der Herr Oberst möchte erfahren, ob Sie sich bereits entschieden haben, denn je nach Ihrer Antwort muss er entsprechende Vorbereitungen treffen.“

„Sagen Sie dem Oberst“, sprach Perebyjnis und richtete sich auf, „dass er meine Antwort schon hat. Ich habe nicht vor, seine Tochter zu heiraten.“

Der Kosake ging weg. Fünfzehn Minuten später ertönte von unten, von draußen, ein langanhaltendes Wolfsgeheul. Perebyjnis blickte aus dem Fenster und im schwachen Mondlicht, das hinter den Wolken hervordrang und schon mit dem Morgennebel zu ringen schien, sah er die dunklen Gestalten von sechs riesigen, Raubtieren an Stricken, die im Kreis saßen mit zum Himmel erhobenen scharfen Schnauzen und ein trauriges, sehnsuchtsvolles Heulen hören ließen.

Das Mädchen saß in der Ecke und bedeckte die Ohren mit ihren Handflächen. So vergingen ein paar Minuten. Das Heulen hörte nicht auf. Plötzlich sprang sie auf wie von einem Blitz getroffen, packte den jungen Mann am Arm und zog den Teppich weg, unter dem sich eine kleine Öffnung verbarg.

„Die Bestien sind draußen, also ist der Weg durch den Keller frei“, sagte sie und hob ein Brett vom Boden hoch.

Perebyjnis sah eine schmale Treppe ohne Geländer, die nach unten führte.

„Schnell!“, sagte sie. „Der Geheimgang bringt Sie in den Keller. Dort, in der zweiten Nische rechts, ertasten Sie ein breites Brett und nehmen es ab, so öffnet sich ein langer Gang, der zu einem kleinen Hain führt, hundert Schritte von unserem Garten entfernt.“

Besorgt stieß sie ihn und drängte ihn zu gehen. Sie beugte sich über das Loch, in das er sich mit den Armen herabließ; ihr Haar berührte seine Wangen; er konnte ihren heißen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Für einen kurzen Moment war ihm ein wenig schwindelig, und er schien zu zögern. Obwohl sie einem Fremden gehörte, zog ihn dieses Mädchen mit einem seltsamen Zauber an.

Antin tauchte in die schwarze Dunkelheit ein und begann sich langsam vorwärtszubewegen, indem er beide Wände mit seinen Händen befühlte, vorsichtig, damit er nicht auf ein Hindernis zu stieß, fiel oder Lärm machte. Nach der Treppe fand er sich in einem breiteren Raum wieder. Der Geruch von Wein verriet ihm, dass er im Keller war. An der rechten Wand entlangtastend, gelangte er zu einer ersten Nische, die mit Fässern und Flaschen gefüllt war. Nachdem er sie passiert hatte, erreichte er die zweite.

Da hörte er plötzlich Schritte, die sich vom anderen Ende näherten. Er tauchte hinter ein großes Fass und hockte sich hin. Jemand näherte sich mit einer Kerze in der Hand, trat an genau dieses Fass heran und begann, den Wein daraus abzuseihen. Perebyjnis versteckte sich wie eine Maus im Loch.

Jemand wollte nachts trinken! Als dieser „Jemand“ fertig war und sich wegbewegte, stand Perebyjnis auf und sah ihm nach. Es war die Magd. Das Licht der Kerze in ihrer Hand zitterte an den Kellerwänden. Als sie verschwunden war, griff der Kosake nach dem Brett in der zweiten Nische. Feuchtigkeit und abgestandene Luft wehten ihn an, als er es zurückschob. Er trat in die Dunkelheit. Die Wände auf beiden Seiten waren feucht, und manchmal schien es ihm, als würde sein Fuß nass werden. Er hielt die rechte Hand die ganze Zeit an der Wand und schlug nach zwanzig Schritten plötzlich mit der Stirn gegen eine Wand. Der Gang war zu Ende. Überrascht blieb er stehen, streckte seine linke Hand aus und vergewisserte sich, dass es eine Öffnung gab. Er überlegte, dass der Korridor nach links abbiege. Jetzt bewegte er sich noch vorsichtiger, mit beiden Händen tastend, damit sein Kopf nicht wieder gegen ein Hindernis stieß. Hinter der fünften Biegung blitzte plötzlich das Licht einer Taschenlampe in seine Augen und um die Ecke kamen zwei brave Männer mit Musketen, die auf seine Brust zielten.

„Na, guter Mann, kehr besser um!“, sagte einer von ihnen.

„Du bist nicht auf Dummköpfe gestoßen“, fügte der andere hinzu. „Wir sitzen jetzt seit drei Stunden hier und warten auf dich. Wir wussten, dass du hier entlangkommen würdest.“

Zähneknirschend ging Perebyjnis zurück. Der gleiche schmale, dunkle Gang. Das Brett und der Keller. Jetzt ertastete er sich den Weg an der linken Wand entlang. Da war die enge Treppe, die er hinaufstieg. Er klopfte, und das Mädchen öffnete.

„Sie haben eine Wache aufgestellt“, erklärte er knapp. Aber seltsamerweise empfand er eine gewisse Freude, als er über sich das Gesicht eines Mädchens mit den braunen Augen und dem hellen Haar sah, in dem sich Angst, Verwirrung und Verzweiflung spiegelten. Mitleid mit diesem Mädchen, das sich mehr Sorgen um sein Leben machte als er selbst, überflutete ihn.

Er wollte sie beruhigen und sagte, ein Kampf mit Wölfen sei so interessant und neu für ihn, dass er es am Ende nicht bereue, nicht entkommen zu sein. Dies werde jedenfalls eines der spannendsten Abenteuer seines an Ausbildung und Überraschungen reichen Lebens. Eine solche Gelegenheit biete sich nicht jeden Tag, sagte er.

Aber das Mädchen schüttelte den Kopf und sagte, es sei etwas anderes, als gegen zwei oder drei Janitscharen zu kämpfen. Während man sich vorne gegen den einen Wolf verteidige, sprängen von hinten drei weitere auf den Rücken. Auch wenn man sich mit dem Schwert in der Hand wie ein Wirbelsturm auf der Stelle drehe, könne niemand das lange durchhalten. Egal wie sehr er auf sie einredete und sie beruhigte, das Entsetzen in ihren Augen verschwand nicht. Ich würde sie gerne umarmen und sanft streicheln, um ihr die Angst zu nehmen; aber das Wissen, dass ihr Herz einem anderen gehörte, erlaubte ihm das nicht.

Plötzlich war von unten Lärm zu hören. Mehrere Stimmen sagten etwas, schrien, unterbrachen sich gegenseitig. Perebyjnis ging zum Fenster, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Der Morgen dämmerte bereits grau über dem Garten. Die Wölfe wanden sich, heulten, bellten und sprangen, setzten sich auf ihre Hinterbeine, rissen an den Stricken und zerrten an den Ketten. Aus diesem Chaos, Aufruhr und Treiben drangen Satzfetzen hinauf, die verrieten, dass jemand gefangen genommen und herbeigeführt worden war. Nun sah Perebyjnis, dass die Wölfe in einiger Entfernung voneinander angebunden worden waren, sodass sie einander nicht erreichen konnten. So bestand für denjenigen, der sie fesselte oder losband, keine Gefahr, gleichzeitig von zwei Wölfen angegriffen zu werden.

Plötzlich öffnete sich die Zimmertür und die Kosaken stießen einen Schmendrickiv herein.

„Na, ist das vielleicht der Helfer, der Sie heute dabei unterstützen sollte, die junge Dame zu entführen?“, fragte der eine an an Perebyjnis gewandt.

Der schaute in das fremde Gesicht des erschrockenen Jungen, der vor Angst zitterte, und sagte: „Ich kenne diesen guten Mann nicht, aber wenn ich Hilfe brauchte, würde ich sicherlich jemanden holen, der stärker und auch mutiger ist.“

„Kennen Sie denn diesen guten Mann, Fräulein?“

Der „gute Mann“ richtete einen stummen, aber beredten Blick auf das Mädchen.

„Ich sehe diesen Herrn zum ersten Mal in meinem Leben“, erwiderte sie kalt.

„Was machen wir mit ihm?“, überlegten die Kosaken da.

„Lassen wir ihn gehen“, sagte der Älteste von ihnen. „Lassen wir ihn weiterziehen mit dem Befehl, nicht mehr ohne Not an unserem Zaun entlangzustreifen.“

Der Schmendrick warf dem Mädchen einen schnellen, dankbaren Blick zu und verschwand. Dann herrschte Schweigen. Das Wolfsgeheul unten begann von neuem.

„Würden Sie denn lieber in den Tod gehen, als mich zu heiraten?“, fragte sie unerwartet.

„Ist Ihr Glück es etwa nicht wert, dafür sein Leben zu geben?“

„Das Leben für mein Glück mit Antos“, sagte sie langsam, „oder besser gesagt, für das Glück von Antos mit mir.“

„Ha, als er auf das Pferd stieg, ist er so schnell davongejagt, dass nur eine Staubwolke zurückblieb“, lachte unten jemand.

Perebyjnis Herz machte einen Sprung, er lehnte sich aus dem Fenster und fragte: „Welche Fellfarbe hatte das Pferd?“

„Kastanienbraun mit weißen Flecken“, sagte eine Stimme von unten.

„Oh Gott! Mein Pferd!“ rief Perebyjnis und eine Welle der Wut erfasste ihn.

Die Empörung trieb auch dem Mädchen das Blut ins Gesicht.

„Ich würde gerne wissen, wer dieser Schmendrick hier gerade war“, erklärte der junge Mann.

„Das war Antos“, sagte Oksana nach einer langen Pause mit leiser Stimme.

Ein ganzer Sturm an Gefühlen überkam Perebyjnis. Hier stand sie also, diese junge Dame mit dem hellen Haar und den dunklen Augen, sein Jugendtraum; ihre Stimme und Bewegungen nahmen ihn gefangen! Wenn er seine Gefühle nicht die ganze Zeit unterdrückt hätte, hätte er vor Liebe, die wie ein purpurner Abgrund den jungen Mann lockte und anzog, den Kopf verloren. Die Liebe für eine Schönheit, die ihr Herz einem anderen geschenkt hatte. Dem Dieb, für den sie bereit war, ihre Seele zu opfern, weil sie ihn gerade gerettet hatte, indem sie behauptete, sie habe ihn nie gesehen oder gekannt. Sie hatte Antos gerettet, damit Antin Perebyjnis sein Leben für den anderen, unwürdigen geben würde. Weil Perebyjnis Leben viel weniger wert war. Als sie ihn auf die Waagschale gelegt hatte, hob sich diese – der Andere wog mehr.

Dann erst bemerkte er, dass Oksana weinte, dass das Schluchzen ihren ganzen Körper schüttelte. Das beruhigte ihn ein wenig, er näherte sich und fragte: „Warum weinen Sie, Fräulein, wenn sich doch für Sie alles so gut fügt?“

„Oh, wie Sie mich hassen müssen“, schluchzte sie unter Tränen.

„Warum hassen?“, fragte er hilflos.

„Warum? Sind Sie nicht widerspruchslos durch den Kellergang gelaufen, nur um dieser verhassten Hochzeit zu entkommen? Haben Sie nicht überlegt, aus dem Fenster zu springen? Bevorzugen Sie etwa nicht das Wolfsmaul einer Heirat mit mir?“

„Aber Antos…“

„Möge Antos gehen, wohin der Pfeffer wächst! Ich will ihn nicht mehr kennen oder sehen.“

Perebyjnis dreht sich der Kopf.

„Ich habe doch nur getan, was die ritterliche Ehre erfordert“, brachte er hervor. „Und was befiehlt Eure ritterliche Ehre einem Kosaken, wenn ein Mädchen sagt, dass sie ihn liebt, dass sie ohne ihn nicht leben kann und will; dass ihr Herz gebrochen wird, wenn er geht und sie allein lässt?“

„Oksana!“, ertönte ein Triumphschrei aus der Brust des jungen Mannes, als er das Mädchen rasch an sich drückte. Sie schluchzte immer noch, legte ihren Kopf an seine Schulter, aber nun flossen Freudentränen. Ihr Haar fiel in einer duftenden Welle auf seine Hände, er streichelte es sanft und sagte zu ihr: „Lass uns zu deinem Vater gehen. Gemeinsam werden wir ihm erklären, was passiert ist, und alles wird gut, denn wir haben bereits seine Zustimmung.“

„Oh, wie lieb und nett du bist“, sagte sie ihm und lachte durch ihre Tränen. „Aber wenn wir jetzt zu meinem Vater gehen, einer Heirat zustimmen und ihm erzählen, was passiert ist, wird er es wirklich glauben und sich bei dir entschuldigen. Aber mich wird er zwingen, zu warten, bis Antos, der ihm heute entwischt ist, auftaucht.“

„Du hast recht“, lachte er. Und als sie Arm in Arm das Zimmer ihres Vaters betraten, sagte Antin feierlich: „Oberst! Ich habe meine Meinung während der Nacht geändert und nehme mit aufrichtigem Herzen und Liebe Ihre Tochter zu meiner Frau.“

„Das hat aber lange gedauert“, sagte der Alte. „Wäre es nicht einfacher gewesen, das gestern schon zu sagen? So lasst uns gehen. Die Sonne ist aufgegangen und der Schwiegervater wartet wahrscheinlich schon in der Kirche.

Zwanzig Minuten später versammelten sich alle im Zimmer des Obersts. Der Gastgeber schenkte Wein in vergoldeten Kelchen aus. Man trank auf das Wohl des Brautpaars. Die drei anwesenden Kosaken waren etwas verlegen. Einer entschuldigte sich halb im Scherz für die Contumelia, die dem Herrn Unterfähnrich gestern zugefügt worden seien. Der Zweite klopfte Perebyjnis auf die Schulter und beteuerte, man dürfe das mit den Wölfen nicht zu ernst nehmen, denn der Oberst hätte es sich in letzter Minute sowieso anders überlegt und den Wettkampf vielleicht nach dem griechischen Kalender verschoben. Und wäre es wirklich so weit gekommen, hätte man wohl nicht alle Wölfe auf einmal, sondern einen, höchstens zwei auf ihn losgelassen. Der Dritte behauptete, Makar sei an allem schuld, der sechzehnjährige Junge, der beauftragt worden war, dem ungebetenen Gast, der abends zum Fräulein kam, zu folgen. Dieser dumme Junge habe versichert, dass der impulsive Besucher des Apfelgartens Antos Kschetuskyj sei. Deshalb sei es, so sagte er, zu dem ärgerlichen Missverständnis gekommen.

Perebyjnis sagte, was ihn am meisten störe, sei die Vorstellung, dass alle Anwesenden zu glauben schienen, dass er, Antin Perebyjnis, aus lauter Angst vor den Wölfen heiraten wolle. Um das Gegenteil zu beweisen, sei er bereit, sich nach der Zeremonie dem Kampf zu stellen. Ganz andere Gründe, über die er jetzt nicht sprechen wolle, brächten ihn dazu, schnell zu heiraten. Man möge die Wölfe also noch nicht in den Keller zurückbringen.

Der Alte lachte darüber und sagte, dass er nun als Vater das ausschließliche Recht habe, Tag, Stunde und Bedingungen des Wolfskampfs zu bestimmen. Niemand anders möge sich also darüber Gedanken machen.

Zehn Minuten später marschierten alle gemeinsam zur Kirche. Ganz hinten ging der alte Oberst.

Auf halbem Weg holte Makar ihn ein und sagte keuchend: „Herr Oberst, Herr Oberst! Der junge Mann, der mit der jungen Dame zur Kirche geht, ist nicht der, der immer in Ihren Garten kam.“

Aber der alte Mann schaute ihn unter seinen gerunzelten Augenbrauen nur an und sagte: „Das habe ich schon ohne dich herausgefunden. Du, Dummkopf, misch dich nicht in die Angelegenheiten anderer ein, wenn dich keiner darum gebeten hat!“

Juni 1947, Leutasch, Tirol

i Saporoher Sitsch: autonome ukrainische Staatsformation des 17. Jh, „Kosakenstaat“

ii Fuhrmänner, die einst mit Ochsen von der Ukraine zu Krim oder Don fuhren, um von dort Fische oder Salz zu holen

iii Semen Palij und Petro Doroschenko waren berühmte Hetmane.

iv gemeiner Einfaltspinsel nach dem komischen Theaterstück von Abraham Goldfaden