Übersetzer*innenblick

Ziel des Projektes Übersetzer*innenblick ist es zu zeigen, welche individuellen Beziehungen zwischen Übersetzerin, Autorin und Text existieren, und diese für eine breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Oft verbinden Übersetzerinnen mit ihren Autorinnen, den Texten und ihren Übersetzungen sehr individuelle Geschichten, die über den reinen Übersetzungsvorgang hinausgehen. Übersetzer*innen aus dem Verein translit haben ukrainische Autor*innen des 20. bzw. 21. Jahrhunderts ausgewählt, mit denen er/sie eine besondere Rezeptions-, Übersetzungs- oder Vermittlungsgeschichte verbinden, und stellen sie mit einem persönlichen Essay, einem übersetzten Textfragment und einem Porträt in Form eines Animationsfilms vor.

Im Projekt wurden folgende Porträts erstellt:

Les Kurbas & Mykola Kulisch

Kurbas und Kulisch zählen zu den wichtigsten Persönlichkeiten der ukrainischen Theateravantgarde. Beide wurden Opfer des stalinistischen Terrors und als solche 1937 erschossen. Kulisch gilt allgemein als der bedeutendste ukrainische Dramatiker des 20. Jahrhunderts, seit der Perestroika finden sich seine Stücke regelmäßig auf den Spielplänen zahlreicher ukrainischer Theater, zeichnen sie sich doch nach wie vor durch eine hohe Aktualität aus. Kurbas hat als Innovator des ukrainischen Theaters zahlreiche für die Theatertheorie und -geschichte bedeutende Schriften hinterlassen. Da die Arbeit und künstlerische Entwicklung beider von einer intensiven Zusammenarbeit geprägt war, werden sie in einem gemeinsamen Film vorgestellt. Zu diesen beiden Persönlichkeiten können Sie folgende Texte lesen:

Jurij Wynnytschuk

Bereits gegen Ende seines Studiums, das er 1973 am Pädagogischen Institut in Ivano-Fran­kivs’k abschloss, war er im Samizdat aktiv und 1974 erfolgte die erste Hausdurchsuchung durch den KGB. Um einer Verhaftung zu entgehen, fuhr Vynnychuk nach L’viv (Lemberg), wo er anfangs illegal in den Wohnungen von Freunden, Bekannten und Verwandten unter­kam. Während dieser Zeit war er im Underground und im Samizdat aktiv. Zu dieser Zeit entstand der Roman Mädchennächte (Divy noči) aus dem Milieu der sowjetischen Halb- und Unterwelt. Seit Beginn der 1980er erhielt er die Erlaubnis als Übersetzer und Literatur­kritiker zu publizieren. So veröffentlichte er neben literaturkritischen Artikeln zahl­reiche Übersetzungen (aus dem Tschechischen, Polnischen, Russischen, Bulgarischen), oft unter Pseudonymen. Im Freundeskreis hielt er in Privatwohnungen Lesungen seiner nicht publizierbaren Prosatexte. Gegen Ende der Glasnost-Perestrojka-Zeit war er Mitbe­gründer und Mitwirkender des populären satirischen Kabaretts „Ne zhurys’!“ (Nicht jam­mern! / 1987-90).

Lina Kostenko

Lina Kostenko ist die Galionsfigur der ukrainischen Autor*innengeneration der 1960er Jahre, der sogenannten Šistydesjatnyky, und gilt bis heute als eine moralische Autorität der ukrainischen Kultur und Gesellschaft. Sie veröffentlichte Gedichte, den bekannten Versroman Marusja Čuraj und 2011 ihr erstes Prosawerk Zapysky ukraïns’koho samašedšoho (Aufzeichnungen eines ukrainischen Verrückten). Ihr Debüt fiel in die sogenannte Tauwetter-Periode. Ein entscheidender Wendepunkt war für Lina Kostenko wie für die Ukraine die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl (Ukr. Tschornobyl). Seit Beginn der 1990er Jahre engagiert sie sich in den sogenannten Tschornobyl-Expeditionen in die Sperrzone, um das dortige Kulturgut zu dokumentieren und vor dem Vergessen zu bewahren. Die Katastrophe spielt auch in ihren Werken eine Rolle.

Haska Schyjan

Haska Schyjan gehört zur Generation der jüngeren Autor*innen, die sich intensiv mit den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und in Europa auseinandersetzen. Ihr Roman Sa spinoju (Hinter dem Rücken) thematisiert den Krieg im Osten der Ukraine und die daraus folgenden Verwerfungen für die moderne ukrainische Gesellschaft. In verschiedenen Texten erörtert Schyjan die Geschlechterbeziehungen in der Ukraine zur Sowjetzeit und heute und setzt sich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft ein.

Olena Sachartschenko

Olena Sachartschenko ist studierte Mathematikerin und Journalistin und hat bereits als Programmiererin, Systemadministratorin, Mathematikdozentin und Journalistin gearbeitet. Seit 1998 veröffentlicht sie Novellen und Romane. Bekannte Werke der Autorin sind Wyschywani harbuzi (Bestickte Kürbisse, 2006), Diwtschynka z chimeramy (Das Mädchen mit den Chimären, 2010) oder Tretja Kabinka – Los-Angeles (Dritte Kabine – Los Angeles, 2018). Sie schreibt für Kinder und Erwachsene. In ihrem Roman Wertep. #RomanProMajdan (Wertep. #RomanÜberDenMajdan) von 2016 wird im Stil eines unmittelbaren Erfahrungsberichts von den revolutionären Geschehnissen auf dem Majdan von 2013/2014 berichtet, die hoffnungsvoll begannen und in einem Blutbad endeten.

Olha Kobyljanska


Die ukrainische Autorin Olha Kobyljanska (1863-1942) im Animationsfilm! Kobyljanska war in der Bukowina beheimatet und spielte eine wichtige Rolle innerhalb der literarischen und kulturellen Prozesse des ukrainischen Fin de Siècle. Ihre auf Deutsch und Ukrainisch verfassten Werke inszenieren die vielkulturelle und soziohistorische Beschaffenheit der Bukowina Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert aus einer ukrainischen Perspektive. Aktuelle Analysen und Diskussionen fokussieren sich auf ihre frauenbewegten, nationalemanzipatorischen Diskurse.


Oksana Lutsyshyna

Oksana Luzyschyna (*1974) stammt aus Uschhorod (Transkarpatien) und lebt derzeit in Austin (USA). Sie hat sich als Lyrikerin, Prosaautorin und Literaturwissenschaftlerin einen Namen gemacht. Ihr neuester Roman „Iwan und Phoebe“, der zwischen 1989 und 1997 in Lwiw, Kiew und Uschhorod spielt und vor dem Hintergrund der Revolution auf Granit aus einer kritisch feministischen Perspektive auch die geringere Sichtbarkeit der Frauen im Rückblick auf historische Ereignisse thematisiert, steht auf der Shortlist des ukrainischen Nationalpreises für Literatur 2021.

 

 

Sirka Mensatjuk

Sirka Mensatjuk (*1954) stammt aus einem kleinen Ort in unmittelbarer Nachbarschaft zur ehemaligen Hauptstadt der Bukowina, dem heute ukrainischen Tscherniwzi. Zunächst hatte sie sich vor allem als Autorin für Kinder- und Familienzeitschriften einen Namen gemacht. Später veröffentlichte sie auch Bücher mit Gedichten, Legenden, Erzählungen und Märchen für Kinder. Mit Jak ja rujnuwala imperiu (Wie ich ein Imperium zu Fall brachte) gelang es ihr 2014, wichtige Ereignisse, Diskurse und Stimmungen aus den letzten Jahren vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Ausrufung der ukrainischen Unabhängigkeit in einem flott geschriebenen Jugendbuch zusammenzufassen.