Lisa und ihre Träume (für Schulkinder)

 

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„Hilfe“, rief Lisa. „Wo bin ich?..“

Sie stand mitten in einem Meer – aber nicht auf einem Schiff oder Boot. Sie stand… in einer riesigen Muschel, die im Wind hierhin und dahin wankte und sie drohte, jeden Augenblick zu fallen.

‚Potztausend!‘, dachte sie verwundert. ‚Das erinnert mich sehr an eine Arbeit von BOTICELLI… Was war das noch für ein Gemälde?… Deshalb schaukle ich so!‘ Plötzlich begriff sie. ‚Boticelli war der erste, der Bewegung dargestellt hat! Also bewegt er auch mich …‘ Der Wind pustete das Mädchen schließlich ans Ufer, doch sie schaffte es trotzdem nicht, die Muschel zu verlassen.

„Bleib so!“ Boticelli hielt Lisa mit der majestätischen Geste eines florentinischen Stadtherren auf und malte sie rasch. „Dafür, dass das italienische Wort ‚boticell‘ Bottich bedeutet … ist er aber ziemlich schlank“, kicherte Lisa vor sich hin…

Auf den Uferwiesen blühten Orangenbäume und FRÜHLING lag in der Luft. Um den Künstler herum flatterten fünf oder sechs Mädchen in durchsichtigen Tuniken. ‚Gott!‘ Lisa staunte. ‚Nie hätte ich gedacht, dass es so schöne Mädchen gibt! Die sehen aus wie Top-Models. Warum er mich wohl malt?‘

So stand sie in der Muschel. Und als die Flügel sie wieder aufgriffen, kam das Lisa verglichen mit dem Schaukeln des Meeres fast engelhaft vor.

Der Ort, wo sie hingetragen wurde, war hingegen gar nicht paradiesisch. Unter ihren Füßen begann die Erde zu beben. „Oh je!…“ Lisa stand auf einem Elefanten mit Schnakenbeinen!

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Über das Buch

In diesem Buch besucht ein Mädchen in einem traumartigen Erzählrahmen berühmte Maler und lernt deren Eigenarten kennen. Hier hat der Autor Malkowytsch eine überzeugende Methode gefunden, große Kunst kindgerecht darzustellen. Dem Grafiker Zhenja Haptschynska gelingt es hervorragend, die Renaissance-Malerei Boticellis, Malewitschs Suprematismus oder Dalis Surrealismus gleichermaßen in Kinderbuchbilder umzusetzen und doch Stil, Farbgebung und Details der hohen Kunst perfekt zu imitieren. Die Identifikationsfigur Lisa findet sich auf jeder Grafik in einem bekannten Gemälde oder dem stilgerecht eingerichteten Atelier des jeweiligen Malers wieder. Sie ist in ideenreichen Ausschnitten positioniert, mal im Zentrum eines Gemäldes, mal am Fensterrahmen mit Ausblick auf eine gemäldehafte Landschaft, mal im Spiegel, doch ist sie stets der Mittelpunkt aller Bilder. Ein symbolhaftes Erkennungszeichen jedes Künstlers begleitet außerdem die jeweils gegenüberliegende Textseite, wie z.B. Raffaels Putten oder eine Gans für Brueghel. Mit der ukrainischen Szenerie im ersten und letzten Bild schließt sich der Kreis. Ein ungewöhnliches und doch global gültiges Sujet. Das phantastische Element dient hier der Grenzüberschreitung und nicht, wie häufig im derzeitigen Fantasy-Boom zu beobachten, der seriellen Wiederholung von eskapistischen Stereotypen. Das Buch ist ebenfalls von Iwan Malkowytsch und gewann 2005 den nationalen Preis als bestes Kinderbuch des Jahres und den Kinderbuchpreis des Lwiwer Verlagsforums. Zielgruppe dieses Buchs sind ältere Kinder.