Übersetzer*innenblick. Die ukrainischen 1920er Jahre in Essay, Text, Clip!

Oswald Burghardt (Jurij Klen, 1891-1948)

Jurij Klen lautete das Pseudonym des ukrainisch-deutschen Autors, Übersetzers, Literaturwissenschaftlers und Herausgebers Oswald Burghardt. Aufgewachsen in einem Umfeld, in dem er mit mehreren Sprachen und Kulturen in Berührung kam, prägten die historischen Verwerfungen seiner Zeit, insbesondere die kulturelle ukrainische Blütezeit ausgelöst durch die kurze nationale Eigenständigkeit nach dem Ersten Weltkrieg, sowie die Bekanntschaft mit den Kiewer Neoklassikern und die Emigration nach Deutschland den Schriftsteller. Seine Werke sind einerseits die Tradition der Neoklassiker verpflichtet mit antiken, italienischen und provenzalischen Themen und Formen (z.B. Sonette, Sestinen, Terzinen, Okaven, Epopöe), gehen andererseits mit ihren politischen und ironischen Inhalten darüber hinaus. Als sein Hauptwerk gilt die Romaepopoöe „Die Asche der Imperien“ (Popil imperij), in der sich Klen auf Dantes Göttliche Komödie stützt und in der er die beiden Diktaturen, die er erlebt hatte, scharf kritisierte. Kritiker lobten „Die Asche der Imperien“ als ukrainisches Nationalepos und Manifest des Humanismus.

Bei uns finden Sie die Kurzgeschichte Die Äpfel und Gedichte von Jurij Klen in der Übersetzung von Jutta Lindekugel, sowie den Essay: Oswald Burghardt = Jurij Klen – ein Leben voller Widersprüche?

Sofia Yablonska (1907 in der Nähe Lwiws)

kam nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches und den Bürgerkriegswirren zunächst mit ihrer Familie nach Russland und ging 1921 nach Lwiw, wo sie unter anderem einen Kurs für unternehmerische Tätigkeit absolvierte und zwei Kinos betrieb, um Geld für einen Paris-Aufenthalt zu verdienen. 1926 trat sie die geplante Reise nach Paris an, studierte, schauspielerte und schrieb, ehe sie zu Reisen nach Marokko, China und in den Pazifik aufbrach. Obwohl ihr Lebensmittelpunkt Paris blieb, schrieb sie ihre Reiseberichte auf Ukrainisch und veröffentlichte sie in Lwiw. In ihrem Travelogue „Der Charme von Marokko“ beschreibt sie ihre Beobachtungen und Erlebnisse in Marrakesch und auf einer Tour in den zu jener Zeit nicht von Frankreich kontrollierten Gebiete Marokkos, in „Im Land von Reis und Opium“ schildert sie Begegnungen und Beobachtungen in China. Yablonska schildert eigene Beobachtungen ohne zu werten oder zu moralisieren. Ihre Texte eröffnen den Leserinnen Einblicke in die bereisten Gesellschaften aus der weiblichen Perspektive, die gespeist ist von Neugier, Offenheit und Wertschätzung.

Arkadij Ljubtschenko (1899-1945)

Ljubtschenko studierte in Kiew Medizin, diente während des Bürgerkriegs in der Roten Armee und war anschließend literarisch tätig. Als einer der Gründer von WAPLITE (Freie Akademie Proletarischer Literatur) propagierte er eine ästhetisch ansprechende proletarische Literatur. Bei einer gemeinsamen Reise mit dem Autor Mykola Chwylowyj durch ukrainische Dörfer wird er zum Zeugen der großen Hungersnot 1932/33 (Holodomor). Schon in den 1920er Jahren erschien unter dem Titel „Wertep“ eine Auswahl seiner Novellen und Erzählungen, in denen er die gesellschaftliche Entwicklung der Ukraine und den Zeitgeist philosophisch und lyrisch reflektiert. Wie Olena Sachartschenko, die ebenfalls in unserer Reihe behandelt wird, bezieht sich Ljubtschenko mit dem Titel Wertep auf das traditionelle Puppenspiel, das auf mehreren Handlungsebenen stattfindet. Gegen Ende des 2. Weltkriegs wurde er von der Gestapo festgenommen und schwer krank wieder entlassen. Im deutschen Exil verstorben wurde er auch dort beerdigt. Sein Werk war in der Sowjetukraine fortan verboten, bis zur Rehabilitation 1989.

Walerijan Pidmohylnyj (1901-37)

gehört zu jener bemerkenswerten sowjetukrainischen Schriftstellergeneration, deren Werke aus den 1920er Jahren heute den Kernbestand der ukrainischen Literatur der Moderne bilden. Pidmohylnyj ist von der psychologischen Prosa des französischen Realismus und Naturalismus inspiriert, deren Werke er auch ins Ukrainische übersetzte. Vor diesem Hintergrund begründete Pidmohylnyj die urbanistische Prosa in der Ukraine neu. 1934 wurde er verhaftet, da ihm die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wurde. Er wurde zu zehn Jahren Lagerhaft abgeurteilt. Wie zahlreiche andere führende Autor*innen und Künstler der ukrainischen Moderne wurde er in das erste große sowjetische Arbeitslager auf den Solowetski-Inseln deportiert. Am 3. November 1937 wurde er hingerichtet.

Mykola Chwylowyj (1893-1933)

ist einer der markantesten und einflussreichsten Autor*innen der ukrainischen Literatur des 20. Jahrhunderts. In seinem Werk spielen die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs und der anschließenden Revolutionen sowie die gesellschaftliche Utopie der 1920er Jahre eine prägende Rolle. Aufgrund seiner Erfahrungen in den Kämpfen des Ersten Weltkriegs und Bürgerkriegs reifte in ihm die Überzeugung, dass eine freie und friedliche Ukraine nur im Rahmen des internationalen – respektive europäischen – Kommunismus möglich sei. Deshalb lehnte er den russischen Bolschewismus ab, wodurch die spätere Verfolgung durch das Stalinregime vorgezeichnet waren. Neben seinen ästhetisch ansprechenden und ungewöhnlichen modernistischen Texten verfasste er Essays zu soziokulturellen Fragen der Sowjet-Ukraine und ihrem Verhältnis zu Sowjet-Russland. Er war als reger Organisator des literarischen Lebens in der damaligen ukrainischen Hauptstadt Charkiw tätig und gab mehrere avantgardistische Literaturjournale heraus. Gegen die Repressionen der Stalinzeit erhob er öffentlich lautstark Protest und inszenierte am 13. Mai 1933 publikumswirksam den eigenen Tod durch einen Kopfschuss. Dies war die Zeit, als die deprimierenden Ereignisse in der Sowjetukraine in der Hungertragödie von 1932 /33 (Holodomor) gipfelten und die Verfolgung und Liquidierung der ukrainischen Intelligenz unter Stalin im großen Maßstab begann.


Nachdem Les Kurbas und Mykola Kulisch bereits im Vorläuferprojekt in einem gemeinsamen Clip vorgestellt wurden, der vor allem ihre künstlerische Zusammenarbeit ab 1925 bis zu ihrer Verhaftung und Erschießung 1937 thematisiert, werden an dieser Stelle ihre Persönlichkeit, ihr Schaffen und ihre spezifische Ästhetik einzeln vorgestellt.

Les Kurbas (1887-1937)

Kurbas gilt als eine der wichtigsten Persönlichkeiten der ukrainischen Avantgarde und hat als Innovator des ukrainischen Theaters zahlreiche für die Theatertheorie und -geschichte bedeutende Schriften hinterlassen. Bereits 1918 nimmt er in seinem programmatischen „Theaterbrief“ überholte Theatertraditionen und Denkweisen aufs Korn und fordert eine völlig neue Theaterästhetik. Seine künstlerische Heimat, das 1922 gegründete freie Theater Berezil, ist der Versuch, eine Gemeinschaft Gleicher und Gleichgesinnter zu schaffen, ohne Hierarchien und nur der Kunst verpflichtet.

Mykola Kulisch (1892-1937)

gilt allgemein als der bedeutendste ukrainische Dramatiker des 20. Jahrhunderts, seit der Perestroika finden sich seine Stücke regelmäßig auf den Spielplänen zahlreicher ukrainischer Theater, zeichnen sie sich doch nach wie vor durch eine hohe Aktualität aus. Sie zeigen, teils mit Ironie und Satire, alte Denkweisen in einer neuen Zeit, aber auch recht deutlich die Auswüchse des neuen Gesellschaftssystems und soziale Probleme.